Freitag, 19. März 2010


In Bangkok hat meine Wäsche gestunken, fürchterlich gestunken, ich habe sie in eine Plastiktüte gestopft und ganz unten in den Rucksack reingepackt, in das Fach mit den Schuhen. Erst bei der nächstbesten Waschmaschine wollte ich sie wieder rausholen, mit der Greifzange.

Am letzten Abend in Kalkutta war es dann soweit, das gefürchtete Fach wird geöffnet, doch keine Waschmaschine weit und breit, dafür ein Hotelbett mit einem zu kurzem, abgenutztem Laken, eher braun als weiß. Das letzte Mindestmaß an Reinheit und Hygiene, die letzten Überbleibsel des europäischen Standards, den ich Mir zu erhalten versucht habe, ist verloren, ich kapituliere vor dem großartigen Kalkutta; ich versuche, die dunkelsten Stellen des Hotelbettes mit meinen alten, stinkenden T-Shirts abzudecken, in der Hoffnung ohne größere Ausschläge, Wanzen oder Läuse in den nächsten Morgen zu kommen. Die Nase führt einen ständigen Kampf gegen das Gemeinschaftsklo vor Tür, ich gehe so spät und so müde ich kann ins Bett, ertrage dafür sogar eine der grausamen Gitarrenrunden, wie sie unter Backpackern üblich sind. Jack haut sich ein Schlafmittel rein.

Um fünf Uhr am Morgen stehe ich auf, gehe raus aus dem Muff, den Dreck des Hotels und streife durch die Straßen. Ich wandere durch ein gigantisches Bett, ein hartes, dreckiges Bett aus Asphalt, indem tausende Inder seelenruhig schlafen. Die Gehwege sind voll, an den Straßenrändern liegen sie und auf dem Platz, auf dem wir abends Fußball spielen, hat ein Massaker stattgefunden, hundert Leute liegen totgeschossen auf dem Boden. Nein, sie leben, einer steht auf, dreht sich um und pinkelt auf den Bordstein.

Das schlafende, langsam erwachende Kalkutta erwischt mich erneut. Am Abend zuvor dachte ich, die Stadt habe mich in den ersten Tagen einfach nur überrumpelt, ich war übermüdet als ich ankam, erschöpft und mitgenommen, weil Fanny gerade abgereist war und ich die Nacht am Flughafen verbracht habe, ohne Schlaf. Eine verrückte Stadt traf auf einen angeschlagenen Niki, der alles verstärkt wahrnahm und das Chaos in der Stadt wuchs erst in dem Chaos in meinem Kopf zu diesem faszinierenden Monster, dachte ich mir. Ich war optimistisch, Kalkutta in den Griff bekommen zu können, wenn der erste Schock nur vorüber sei werde ich mich schon an alles gewöhnen und ich könnte mich hier vielleicht sogar wohl fühlen, für einige Tage wenigstens, sei es in der Rolle des Außerirdischen auf Entdeckungsreise in einer fremden Welt. Doch das erwachende Monster lacht mich aus, hetzt eine Horde kläffender Köter auf mich, einer nackt und ohne Fell. Ein Brathähnchen mit Tollwut, mitten ihm asphaltierten Riesenbett.

Der Markt erwacht, ein Strom Fahrräder mit stinkenden, halb gerupften Hühnern auf der Lenkstange kommt aus einer schmalen Gasse. Die Händler verteilen ihre kreischende Ware am Straßenrand, bis schließlich eine Armee verschnürter Hühner das Viertel in eine elend stinkende Wolke hüllt. Der Gestank ist nicht auszuhalten, greift von allen Seiten an, stechend und beißend. Ich mache mich auf den Rückweg und er hat den Geschmack einer Flucht. Ich leugne es nicht, ich bin den nervenden Händlern nicht böse, und lasse die Taxifahrer hinter mir her pöbeln. An der Mauer vor dem Hotel liegt der Krüppel, der Bettler mit nur einem Arm und einem Stumpf, zusammengesunken und schnarchend. Sie alle sind Helden. Eine seltsame Müdigkeit überkommt mich, resignierend kehre ich in die Anlage zurück und bin froh um die Geborgenheit des vergammelten Hotels.


Manche Ereignisse werfen ihren Schatten voraus, fangen genauso beschissen an wie sie weitergehen; schon die Fahrt zum Bahnhof war ein kleines Fiasko. Schon in Thailand haben Fanny und ich den Taxifahrern den Kampf angesagt, diesen üblen Menschen, die dich gar nicht erst mitnehmen, wenn du nicht von vornerein einen völlig überhöhten Preis annehmen willst, die sich weigern den Taximeter anzustellen und wenn sie es doch machen, musst du eine halbe Stunde extra einplanen weil sie dann immer im Kreis fahren werden. Also genossen Fanny und ich in Bangkok am Bahnhof den grandiosen, triumphalen Moment an dem wir an allen Taxifahrern vorbeistolzieren, nur verächtlich den Kopf schütteln und so tun als wüssten wir, wo wir hin wollten und ohnehin jede Strecke problemlos, lächelnd zufuß zurücklegen. Doch es war sau heiß und natürlich hatten wir nur eine grobe Ahnung, in welcher Richtung unser Hotel liegen könnte. Schließlich erreichten wir die Lobby des Luxushotels: verschwitzt und erschöpft, doch immerhin als Sieger! Ein Taxi von meinem "Hotel" in Kalkutta bis zum richtigen Bahnhof (es gibt drei) hätte mich etwa einen Euro gekostet... Ein Euro ist in Indien viel Geld, wenn nicht für mich, dann für einen blöden Taxifahrer und ich gönne es ihm nicht... Wie auch immer, ich gehe zufuß, fahre mit dem Skateboard und der Metro, bis ich mich schließlich vollends verlaufen und verloren habe, in der Hitze und dem Treiben eines verstaubten Diensttagmorgens in Kalkutta. Ich frage mich rum, werde hin und her geschickt. Schließlich rolle ich an einer unendlichen Warteschlange entlang. Ich rolle und rolle und rolle und frage schließlich vorsichtig eine Gruppe, wozu sie denn anstehen...-"Railway Station!" sagt einer, in seinem Inderakzent und zerstört mir jede Hoffnung jemals in Nepal anzukommen.

Die Schlafzüge, die irgendein Blödmann mit denen von Thailand verglichen hat, sind ziemlich indisch. Am Anfang sind sie noch leer, ein paar indische Jungs empfangen mich herzlich und bestehen darauf mich zum Essen einzuladen, so futtern wir gemeinsam ihren Proviant auf. Einer von Ihnen ist besonders treu und erklärt sich zu meinem persönlichen Papa, wenn ich irgendwas kaufen wolle, übernehme er das verhandeln für mich und wenn ich sonst ein Problem habe, werde er das gleich für mich klären.


Schließlich ist der Zug knall voll, sogar unsere Sleeperlclass etwas überladen. Es kommen viele Bettler vorbei, in der Regel gibt man auch was. Draußen arbeiten Bauern mit ihren Frauen auf den Feldern, die Kinder schneiden das Getreide und Ochsen ziehen den Pflug, wie in Deutschland. Als die Menschen noch Neandertaler waren.


Die erste Hälfte der Nacht halte ich mich wach und teile ein Bett mit einer Omi im traditionellen Gewand, sie steht schon seit 2 Wochen auf der Warteliste und darf heute umsonst mitfahren, bekommt dafür aber kein Bett und kauert so neunmal in der Ecke auf meiner Britsche, ich sitze in der anderen Ecke und ein Indischer Student schwätzt mich voll. Morgen ist ein großer Tag, er wird seine zukünftige Frau treffen und zum ersten Mal einen ganzen Tag mit ihr verbringen.

Die restliche Nacht ist ein Kampf gegen die Mücken, die Krabbelviecher und vor allem die Bahnhofshändler, die bei jedem Stopp den Zug stürmen, vor sich hin schreien und kaum was verkaufen. Ich habe ziemlich Schiss um mein Gepäck, irgendjemand hat mir erzählt, wir fahren durch den gefährlichsten Teil Indiens oder kämen sogar dort an.

Wir kommen gleich an und ich habe noch eine Nacht im Bus vor mir, fürchte ich. Mein Rucksack stinkt jetzt schon wie ein Puma und als ich heute Nacht aufgewacht bin, auf jeder Hand zwanzig Stiche, habe ich mich im ersten Schock komplett mit Moskitospray eingedeckt, von den Socken bis zur Kapuze. Mittlerweile kann ich verstehen, warum Mücken den Geruch nicht ausstehen können und.


Ein ziemlich heruntergekommener Bettler will mir Sightseeing-Tour für Gorakhpur andrehen obwohl das wohl eine der hässlichsten Städte der Gegend sein soll. Ich habe zum Glück noch einen Zug-Freund hier, mir zeigen will, wo der Bus nach Nepal abfährt.

9 Kommentare:

  1. an alle besorgten omis: ich bin mittlerweile gut in nepal angekommen, alles ruhig und perfekt hier, all good! und die tage in Indien waren wirklich grandios, anstrengend und manchmal etwas spanend, insegseamt ein unvergessliches, tollestolles Erlebnis! und die Inder in Kalkutta haben wirklich zu den freundlichsten Leuten überhaupt, auf der ganzen Reise gezählt!

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  2. oooh Niki!!!!!!!
    Ab nach Nepal!!!! und dann zu Thomas.
    Michael, es scheint auch mit 20 nicht zu ertragen zu sein - und mit 50 ist es kaum lesend zu ertragen.

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  3. ok, auch wenn du mich noch nicht zur Oma gemacht hast ;-) bin ich doch sehr beruhigt!
    War das Visum-Verfahren einfach am Flughafen?

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  4. Unglaublich, was du alles erlebst und wo du überall mittendrin bist. Auch wenn ich nur die Mama bin, ich bin Gott froh, dass du jetzt erst mal in Nepal bist.
    Natürlich finde ich es trotz meiner Ängste toll, dass du das alles erleben kannst. Deinem Text entnimmt man gleichzeitig die Faszination und die Ängste, die dieses Land und das Leben der Inder in dir auslösen und man kann alles so nachempfinden, als wäre man selbst dabei gewesen. Wie immer, pass gut auf dich auf und genieße das Wandern und die Ruhe in Nepal, bevor du dich wieder auf die Rückreise durch dieses verrückte land machst.

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  5. Wahnsinnig wird dieses Land erst dann, wenn man sich vor Augen führt: Es ist ein Atombombenland. Ein Land mit ein paar der weltbesten Unis. Ein Land, das zum Mond fliegen will. Die Wahnsinnigen liegen nicht auf der Straße, die Wahnsinnigen sitzen in der Regierung, am Schreibtisch, am Geldhahn. Wer war das noch, der gesagt hat: Friede den Hütten . . . ?

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  6. auch wenn ich (zum Glück!! ;-) ) nicht deine Oma bin - bin ich doch ziemlichziemlich froh dass du heil wieder in der Heilenwelt angekommen bist!!! Und das auch noch ohne Gepäcksverlust oder Verschlafen - na da siehst du mal, dass es auch ohne mich klappt, wenns muss ;-)

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  7. Hallo Niki,
    deine Berichte sind einfach nur umwerfend faszinierend!
    Und trotz all der Unbilden die diese riesige, kranke Stadt immer wieder bereit zu halten scheint entnehme ich deinem Fazit, dass auch du dich dem Erlebten nicht erleichtert entziehst, sondern neugierig auf eine Fortsetzung bist? Ich bin mir sicher, dass es das "Andere" Indien auch noch gibt. Abseits des Molloch auf dem Land, in kleinen Städten, bei Begegnungen mit aufrichtigen Menschen, in den Tempeln, bei SeiBaba und all den Wundern, die im Verborgenen geschenen?
    -`♥´-Ganz ganz vielen lieben Dank, dass du uns mit deinen grandiosen Beschreibungen so nah an deinen Erlebnissen teilhaben lässt!-`♥´-

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  8. Uff-, geschafft! Jetzt mußt Du nur noch auf die Höhenkrankheit ernsthaft aufpassen---dann können wir hier wieder einmal etwas entspannter durchatmen.......willst Du auf dem Rückweg nach Kalkutta nicht lieber fliegen?Gut- Deine Gesundheit muss ja nun wirklich überaus robust sein und Freunde wirst Du offensichtlich in jeder Lebenssituation finden...aber drüberfliegen wäre irgendwie besser-, oder? Von der Atom-(zeitbomben)macht hast Du doch genug gesehen....viel Spass beim Wandern auf dem Dach der Welt! Nur verlaufe Dich am Mt.Everest bloß nicht zu sehr nach Nordosten-, sonst hast Du´s mit dem nächsten (Atom-Menschenunrechts-)Monsterstaat zu tun................stimmt wirklich Michael : Vielleicht mit 20 gerade noch-, aber mit Mitte 40 (ja ja..noch nicht 50;-)) )reicht eigentlich Bangkok schon völlig!

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  9. du lieber Himmel, ich junge Oma bin jetzt awwer fix unn ferdisch. Was eine Anstrengung ! Vielen Dank für deine Schilderungen - man spürt ganz deutlich die Hitze, den Lärm und diese üblen Gerüche ohne Ende. Wie gut, dass du über eine stabile Konstitution verfügst.
    Muss das wirklich ein zweites Mal sein ?

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