Sonntag, 4. April 2010

Unser Ausflug auf den Kala Patthar!

Wir sind 80 Jahre alt. Ein Schritt, ein Schritt, ein Schritt, Pause, hoch gucken, LuftLuftLuft, ein Schritt, ein Schritt, Pause...

So weit weg war er noch nie. Seit sieben Tagen sind wir unterwegs, zufuß, mit schwerem Rucksack und viel Gepäck, Nachts ist es saukalt und tagsüber tut der Rücken weh weil der Rucksack so schwer ist, wir laufen und laufen, zugegeben, das erste Stück sind wir mit dem Flugzeug geflogen, aber trotzdem, soweit war er noch nie weg, der Gipfel. Zugegeben, wir reden nicht vom Mount Everest und gerade ist es auch nicht besonders kalt und der Rucksack ist auch unten im Gasthaus, wir sind jung und stark und fit und so weiter, aber hier oben wünsche ich mir eine Sauerstoffmaske herbei. Ab wieviel Metern bekommt man so ein Ding?

Der Spanier will nach ganz oben auf den Everest, ohne Maske, aber der ist auch schon die Ralley Darkar mit dem Motorrad und mit seinem behinderten Freund im Auto mitgefahren, der zählt also nicht. Aber seine Freunde zählen. Sie begleiten ihn, weil sie sich das Ganze mal anschauen wollen, das Base Camp und so weiter, auch seine Frau ist dabei, sie will gerne sehen wo ihr Mann die nächsten fünf Wochen rumsitzt, vielleicht will sie sogar eine Nacht im Base Camp verbringen, eigentlich wollte sie gerne zwei bleiben, doch es ist kalt und ungemütlich dort oben und außerdem nimmt sie schon seit drei Tagen Diamox. Diamox ist das Wundermedikament, eine Tablette die rote Blutkörperchen produzieret und somit das akklimatiesieren beschleunigt und präventiv vor der Höhenkrankheit schützt. Die Holländerin hat sich deswegen schon vor einer ganzen Woche in Namché, auf 3000 Metern Höhe von ihrem Guide versorgen lassen, damit sie so richtig loslegen kann. Der Schweizer sagt, dass er genau wegen dieser Wundertablette überhaupt erst den Auftrag bekommen habe, seinen Lansmann vom Everest runter zu holen, auf über 8000 Metern liegt der, eingefroren, gestorben an Erschöpfung, alle Symptome der Höhenkrankheit wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel-, und Schlechtheitsgefühle hat die Wundertablette Diamox weggezaubert, sodass er, easy come easy go, den Berg raufgerast ist. Aber zurück zu der Gruppe der Spanier: die eine ist zwischendurch zwei Tage den Berg hochgeritten, Diamox wird von einem 200-Dollar-am-Tag-Esel unterstützt, no problem for no problem people! Die Thailänderin aus San Diego konnte gestern erst verspätet losgehen, weil sie sich in der Klinik in Dingboche das Blut hat untersuchen lassen, die Anzahl der roten Blutkörperchen war in Ordnung, sie ist nur so furchtbar langsam weil schlapp weil erkältet. Das dänische Pärchen hat sich das letzte Mal in Namché vom Hubschrauber abholen lassen, das Mädel hatte Bauchschmerzen und Durchfall, diesmal schaffen sie es bis zum Gipfel. Dann kommt der Hubschrauber. Der Junge hat die Höhenkrankheit, wie er sagt.

Fanny und mir geht es nicht besonders, wir sind 80 Jahre alt, das Atmen fällt schwer, die Muskeln und die Knochen tun weh, Schritt dür Schitt für Schritt... Im Treppenhaus würde man Fanny die Oma gernevt beiseite schieben, im Supermarkt Niki den Opa mit dem Einkaufwagen von hinten anstupsen, damit er endlich Platz macht. Im Himalya drängelt kein Treppengeher und schiebt kein Einkauswagen, die Welt ist ein Seniorenheim und alle gehen in Zeitlupe. Alle haben ihre Wehwehchen und nehmen ihre Mittelchen, haben ihren kleinen netten Falid, der die Sachen trägt, den Tee bestellt und Reisverschluss zuzieht. Und die Tabletten reicht und den Esel organisiert.

Wir haben uns ein Büchlein gekauft, "Trekking in the Everest Region", mit Karte, haben uns Flugtickets besorgt, zwei Päckchen Kräcker und eine Reihe Schokoriegel und sind am nächsten Tag losgeflogen. Fliegen in Nepal ist wie Busfahren in Nepal, als ich von Pokhara nach Kathmandu gefahren bin lag ein ausgebrannter Bus unten im Tal, hinter ihm zog sich eine 50 Meter lange Schneise den Hang hinauf. Unser Flugzeug ist sehr klein und zum ersten Mal fühlt sich fliegen nicht wie Zugfahren an sonder wie Achterbahn, es geht rauf und runter. Für den ersten Tag ist eine Strecke vorgesehen von 8.5 Kilometer, wir brauchen sechs Stunden, legen uns anschließend schlafen, um vier Uhr mittags, und stehen erst am nächsten Morgen wieder auf. Wir dachten wir seien viel fitter als der Reiseführer es vorsieht, wir sind ernüchtert und beschließen alles genau nach Plan zu machen.

Es ist der letzte Tag, "the highlight of your trip" sagt das Büchlein. Das Highlight beginnt auf 4900 Meter um halb sieben Morgens, die Zeichen stehen schlecht, Kopfschmerzen, durchgefroren, vor allem Kopfschmerzen. Wir fühlen uns wie die Trottel, die versuchen auf ehrliche Weise eine Klausur zu bestehen und dabei kläglich kämpfen, während alle anderen um uns rum abschreiben, spicken und Diamox nehmen.

Wir sollten runter gehen, doch wir wollen schauen wie weit wir kommen. Gorak Shep ist der Ort, von dem alle seit einer Woche sprechen, Ausgangspunkt für den Ausflug zum Base Camp (5300 )und für den grnadiosen letzten Lauf auf den Gipfel Kala Pathar(5500), Ich bringe den Rucksack in unser Zimmer, wir bestellen Mittagessen, morgens um halb Zehn. Möglichst viel Essen, möglichst viel trinken, alle Tipps und alles Halbwissen, was wir in den letzten Tagen über die Höhenkrankheit aufgeschnappt haben, werden zu goldenen Regeln, irgendwas muss gegen das Kopfweh einfach helfen. Fanny wird schlecht. Ich hole den Rucksack aus dem Zimmer und sage wir gehen runter, sie sagt wir gehen hoch, ich sage wir nutzen die letzten Kraft von Ihr und laufen so weit runter wie wir können. Wir machen uns auf den Weg, hoch zu Kala Pathar.

Eine spanische Ärtzin hat Fanny eine Pille gegeben, Diamox, sie meinte es sei gut, wir wissen wenig darüber und rechtfertigen uns vor uns selbst, dass es der letzte Tag sei und wir sowieso probieren wollen so weit runter zu kommen wie möglich. Nach dem Gipfel. Ich nehme im Laufe des Morgens drei Schmerztabletten. Die letzten paar Hundert Höhenmeter sind ein schwerer Kampf, es geht uns beschissen.

Die Fanny in der Lederjacke, der Niki in der Jeans und das Wasser in der Plastikflasche- wer zuerst einfriert hat verloren! Oben werden wir von der Horde Spanier herzlich empfangen, Fanny bekommt Handschuhe, ich Schokolade, wir fallen uns in die Arme, sie singen und wir schießen Fotos zusammen, vor dem überwältigendsten Panorama schlechthin. Wir alle sind Helden, Stars auf dem Gipfel, die Spanier meinen wir seien ihre Champions.

Tatsächlich sind wir, mit unseren Kopfschmerzen und Fotoapparaten, Kasper in einem ziemlich großen, verrückten Schauspiel, die ernsten Hauptdarsteller sind die Sherpas. Dieses romantische Bergvölkchen, leben seit hundertausend Jahren in den hohen Bergen und gehören dorthin wie das Edelweiß. Man trifft sie ständig auf dem Weg, die meisten von Ihnen sind Porter, sie schleppen Cola, Katchup, Chips, Zwiebeln, Kaffee, Marmelade, Honig, Taschenlampen, halbe Ochsen, lebende Hühner, Holzplatten und -pfähle, Red Bull und Bierdosen den Berg hoch. Ein Yack schafft 60 Kilo, nach der Regenzeit, wenn das Grad saftig ist, 75 Kilo- ein starker Sherpa schafft das Doppelte. Diese Gebirgsmenschen mühelos schweben sie die Wege hinauf, lächeln und grüßen, lachen und tanzen. Sie leiden wie die Hunde. Sie sehen aus wie Preisboxer, die gerade gegen einen übermächtigen Gegner angetreten sind und ordentlich eins drauf bekommen haben. Sie tragen die Körbe, auf denen sich die Waren stapeln auf dem Rücken und spannen einem Riemen um ihren Kopf, nehmen eine Haltung ein als ob sie sich verbeugen und laufen so stundenlang, von morgens bis abends, in einem Schneckentempo, alle paar Meter machen sie Pause weil die Ladung hoffnungslos schwer ist. Die Tragetechnik, optimiert über die Jahrhunderte oder elend primitiv?

Alle paar hunder Meter sitzen sie im Schatten, die riesigen Körbe thronen hinter ihnen auf einem Stein. Man stelle sich den Zielbereich des Frankfurt Marathons vor, ein Haufen völlig erschöpfter Gestalten kauert auf dem Boden, nicht solche, die schnell im Ziel waren, sondern die Dicken und die Langsamen, die nach 5 einhalb Stunden ankommen und völlig überfordert sind mit dem ganzen Unternhemen. Dann setzte man ihnen einen Hundert Kilo Korb auf den Rücken und schicke sie los, lauftlauftlauft! Dann laufen sie und nach hundert Metern sitzen sie wieder da. Lauftlauft!
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Wir haben heute ganz viele neue Bilder reingestellt! Ihr müsst also, um alle sehen zu können, auch auf ältere Posts klicken!!
Ansonsten viel Spaß beim Anschauen und Kommentar-Schreiben ;-)
Liebe Grüße
Fanny & Niki

9 Kommentare:

  1. Danke für den schönen Bericht und die wunderbaren Bilder!Danke aber vor allem dafür, dass Ihr auch dieses Abenteuer heil überstanden habt! Das sind bestimmt die Momente, die es wohl nur einmal im Leben gibt.....Jetzt ausruhen in Pokhara am See? Auch für unsere Nerven wäre das eine gute Erholung....;-))

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  2. Wir sitzen gerade in Istanbul auf dem Platz vor der Blauen Moschee knapp über Meereshöhe und staunen über den wunderschönen Bericht und die Bilder. Höher hinaus kommt man in Turnschuhen (und als Nicht-Höhenbrrgsteiger) wohl nie. Sehr beeindruckend. Wir setzen das wohl nicht mehr auf unseren Masterplan, müssen wir auch nicht, weil mit 80 lässt sich das ja im Supermarkt erleben. Obwohl - die phantastische Landschaft gibt es nur vor Ort.

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  3. Auch wenn ihr euch als Kasper in einem großen, verrückten Schauspiel wähnt - den Kampf gegen euren Schweinehund gewinnt ihr täglich hundert Mal und ich bin ziemlich erleichtert (auch wenn ich nur die alte Tante bin), dass nix Schlimmes passiert ist ! Also wenn das nicht zusammenschweißt....
    Niki, dein Schreibstil wird immer besser - kriegt bald die Höhenkrankheit, pass bloß auf.

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  4. Also lieber Pa-, was macht Ihr denn schon wieder in Istanbul..?!Shuttle-service gebucht?Was ein Journalisten/Lehrererinnen-Leben...aber auch genießen will gelernt sein..Wobei Pa/Ma bestimmt egal wo ziemlich stolz auf den wohlgeratenen Nachwuchs sein können, ne?Und das schmeckt beim türkischen Kaffee/Tee noch dazu vor der blauen Moschee bestimmt nochmal süßer! Und Ruth: Die beiden sind natürlich längst im Schweinsgallopp die Berge wieder `runtergesaust-, das war sicher für den Rest vom Altersheim nochmal staunenswert!!

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  5. die alte Tante Ruth4. April 2010 um 18:55

    DER SCHREIBSTIL kriegt die Höhenkrankheit - im Höhenflug - net die wohlgeratene Kinner...

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  6. Lieber Niki, ich bin sprachlos....kurz vor unsere Reise nach Japan habe ich noch dein Bericht aus Indien gelesen und war sehr begeistert, hatte aber keine Zeit was zu schreiben. Es tat mir auch Leid, dass du alleine warst, ohne deine Freundin... und heute so eine Überraschung... Ihr seid unglaublich... Wir alle wünschen euch weiter alles Gute und passt gut auf euch auf. Euer Schutzengel hat das auch versprochen!;-)

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  7. ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¯¯¨
    ***G*R*A*N*D*I*O*S***
    Gerade eben habe ich euren Bericht gelesen der tiefe Eindrücke zurück lässt, habe mich durch die Vielfalt der Fotos von einem Zauber in den anderen versetzen lassen, habe gestaunt und bewundert, habe eure glücklichen Gesichter gesehen .......und sitze hier völlig platt am PC!
    Unwirklich das alles, und doch Realität!
    UND: Es war sicher nicht nur EIN Schutzengel mit euch, sondern bestimmt eine ganze Heerschar!
    -`♥´-Alles Liebe weiterhin für euch!-`♥´-

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  8. Der Hermann Maier, der ôsterreichische Skirennfahrer, hat nach einem schweren Sturz, bei dem ihm kaum etwas passiert ist, einmal gesagt: Ich glaube, mein Schutzengel hat mehr blaue Flecken als ich. Wie es dem zuständigen für F und N wohl geht?

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  9. Endlich komme ich auch mal an den Computer, wenn man nur einen hat und auf Empfang in Hotels oder Cafés angewiesen ist ist das garnicht so einfach, aber da muss ich euch ja nichts erzählen. Da seid ihr ja sicher jeden Kummer gewöhnt.
    Ich bin natürlich auch sehr froh, dass ier wieder heil unten seid. Das mit den Kopfschmerzen stell ich mir so wie meine schlimmsten Migräneanfälle vor und dann dabei noch zu wandern und Höchstleistungen zu vollbringen, kann ich mir kaum vorstellen. Hut ab!
    Das Gefühl muss sensationel gewesen sein, als ihr endlich auf dem Gipfel wart.
    Jetzt ist doch der Ironman gar kein Problem mehr. Den schaffst du doch jetzt mit links Fanny. Anstrengender kann es doch kaum werden.
    Istanbul ist übrigens auch sehr anstrengend. Trainiert wird hier allerdings weniger die körperliche Fitness, als das Bäuchlein, das permanent irgendwelche türkischen Köstlichkeiten verarbeiten muss.
    Wir denken an euch. Passt weiter gut auf euch auf

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